Als geistige Führerin der deutschen Frauenbewegung gilt die Lehrerin Helene Lange (1848-1930). Sie tat sich als Kämpferin für die höhere Bildung von Mädchen und für ihre Zulassung zum Hochschulstudium, für die Professionalisierung der Oberlehrerinnen, Gründerin des – Bundes deutscher Frauenvereine – und als Mitbegründerin des „Allgemeinen deutschen Lehrerinnen-Vereins“ hervor. Außerdem kämpfte sie dafür, durch gleiche Bildungschancen den Frauen bessere Perspektiven im Beruf, in Politik und Gesellschaft zu verschaffen.
Helene Lange erblickte am 9. April 1848 als Tochter des Kaufmanns Carl Theodor Lange in der Achternstraße von Oldenburg (Niedersachsen) das Licht der Welt. Zunächst besuchte sie wie ihre Brüder Otto und Theodor die Elementarschule von Tante Wöbcken, dann die Krusesche Mädchenschule. Mit sieben Jahren erlebte sie den frühen Tod ihrer Mutter. Als Kind las sie viel mit Leidenschaft.
Jugend
In der Höheren Töchterschule wurde Helene Lange standesgemäß in Nadelarbeit, Literatur und Kunstästhetik unterwiesen. Sie hasste die Handarbeitsstunden und schrieb später darüber: „Es gehört zu den allgemein geglaubten Theorien, dass man kleine Mädchen gar nicht früh genug an die Handarbeit herankriegen könne“.
Tod des Vaters
Nach dem Tod ihres Vaters 1864 verbrachte die 16-Jährige im Haus des Pastors Carl Maximilian Eifert (18081888) und seiner Ehefrau im süddeutschen Eningen das damals übliche „Pensionsjahr“ für höhere Töchter. Im evangelischen Pfarrhaus hatte Helene Lange ihre Geburtsstunde als Frauenrechtlerin. Bei Geselligkeiten fand sie schnell heraus, dass intelligente Frauen bei Debatten beharrlich schwiegen, weil Diskussionen Männersache waren. Außerdem beneidete sie den Sohn des Pfarrers um sein Studium. Von da an war es für sie beschlossene Sache, das eigene Wissen zu vervollkommnen.
Ausbildung als Lehrerin
Als Helene Lange Lehrerin werden wollte, erlaubte ihr Vormund dies nicht, weil das noch niemand im Oldenburger Land getan habe. Daraufhin bildete sie sich – als Lehrerin und Schülerin zugleich – in einem elsässischen Mädchenpensionat autodidaktisch weiter. 1870 wurde sie volljährig, zog mit einer kleinen Erbschaft versehen nach Berlin und legte 1872 in einem kurzen Anlauf das Lehrerinnenexamen ab. Sie lehrte am dortigen Seminar, einer der wenigen Stätten, wo sich Frauen damals geistig weiterbilden konnten, und erkannte, dass Gleichberechtigung und gesellschaftliche Selbständigkeit der Frauen nur durch eine Neuordnung des Mädchenschulwesens zu erreichen sei.
Anstellung als Lehrerin
1876 erhielt Helene Lange eine feste Anstellung an den privaten Bildungsanstalten von Lucie Crain, an denen sie bis 1891 unterrichtete. Gemeinsam mit anderen Frauen – unter ihnen Henriette Schrader-Breymann (1827-1899) – forderte sie 1887 vom Berliner Kultusministerium die gleichberechtigte Beteiligung der Frauen am wissenschaftlichen Unterricht in den Oberklassen der höheren Mädchenschulen und die Gründung von staatlichen Anstalten zur Ausbildung von wissenschaftlichen Lehrerinnen.
Petition
Begleitet wurde die Petition der Gruppe von einer Denkschrift, die man später wegen ihres Umschlages als „Gelbe Broschüre“ bezeichnete. Darin forderte Helene Lange, die Frau müsse um ihrer selbst willen und nicht zwecks anspruchsvoller Dekoration des Mannes gebildet werden. In den intellektuellen Kreisen Berlins löste die Eingabe starke Diskussionen aus. Die Presse stimmte zu, Pädagogen dagegen äußerten sich kritisch. Im „Deutschen Reichstag“ schwieg man zu diesem Thema.
Frauenwohl
Zusammen mit Minna Cauer (1841-1922), der Vorsitzenden des Berliner Vereins „Frauenwohl“, und Franziska Tiburtius (1843-1927), der ersten praktizierenden Ärztin Berlins, ersuchte Helene Lange 1888 und 1889 den „Wissenschaftlichen Zentralverein“ in Berlin, die Einrichtung von „Realkursen zum Zweck der Vertiefung bzw. Ergänzung der allgemeinen Bildung, sowie zur Vorbildung für eine etwaige höhere gewerbliche oder wissenschaftliche Tätigkeit“ zu übernehmen.
Realkurse für Frauen
Die ersten von Helene Lange geleiteten „Realkurse für Frauen“ wurden 1889 in Berlin eingerichtet. Sie ermöglichten es Mädchen, erstmals auch Mathematik, Naturwissenschaften, Latein und die Grundzüge der Volkswirtschaft zu lernen. 1893 wurden die Realkurse in „Gymnasialkurse“ (Bild S. 52) umgewandelt. Die Absolventinnen konnten nun als Externe die Reifeprüfung an preußischen Gymnasien ablegen. Im selben Jahr forderte eine Petition des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ mit 60000 Unterschriften die Freigabe des Studiums für Frauen.
Auf diese Aktivitäten von Helene Lange reagierte die Öffentlichkeit zunächst überwiegend negativ. Doch die Kurse erwiesen sich bald als großer Erfolg. 1896 absolvierten die ersten sechs Frauen in Deutschland ihr Abitur und gingen zum Studium ins Ausland, denn erst 1908 erhielten auch Frauen in Preußen Zugang zu den Universitäten.
Monatszeitschrift „Die Frau“
Seit 1893 gab Helene Lange zusammen mit ihrer 25 Jahre jüngeren Lebensgefährtin, der Lehrerin, Politikerin und Schriftstellerin Gertrud Bäumer (1873-1954), die Monatszeitschrift „Die Frau“ heraus, die Sprachrohr der bürgerlichen Frauenbewegung wurde und bis 1944 existierte. Beide Frauen fungierten auch als Herausgeberinnen des Handbuchs „Die Frauenbewegung“ (1901-1906).
Geistige Führerin der Frauenbewegung
Helene Lange entwickelte sich zur geistigen Führerin der deutschen Frauenbewegung. Sie war 1890 Mitbegründerin des „Allgemeinen Deutschen Lehrerinnen-Vereins“, den sie 31 Jahre lang leitete, ab 1892 Vorsitzende des „Allgemeinen Deutschen Frauenvereins“ (ADF) sowie 1894 eine der Gründerinnen und Vorstandsmitglied des „Bundes Deutscher Frauenvereine“.
SPD Vorstand
Als 1908 den Frauen die Mitarbeit in politischen Parteien zugestanden wurde, trat Helene Lange der „Deutschen Demokratischen Partei“ (DDP) bei. Damals wurde Luise Zietz (1865-1922) als erste Frau in den Vorstand der „Sozialdemokratischen Partei Deutschlands“ (SPD) gewählt.
Publikationen
1908 erschien Helene Langes Publikation „Die Frauenbewegung in ihren modernen Problemen“. Von 1917 bis 1920 unterrichtete sie an der „Sozialen Frauenschule“ in Hamburg, die von Gertrud Bäumer geleitet wurde. 1919 zog sie als Abgeordnete in die Hamburger Bürgerschaft ein. 1921 brachte sie ihre „Lebenserinnerungen“ heraus und 1928 ihre Aufsätze in „Kampfzeiten“.
Ehrenbürgerin
Von ihrer Heimatstadt Oldenburg wurde Helene Lange anlässlich ihres 80. Geburtstages 1928 zur Ehrenbürgerin ernannt. Am 13. Mai 1930 starb sie im Alter von 82 Jahren in Berlin. In Oldenburg erinnern eine 1954 nach ihr benannte Straße und eine Büste am Cäcilienplatz an sie. Über die Wegbereiterin der Emanzipation sind mehrere Bücher erschienen. Heute weiß kaum noch jemand, dass sie es war, die den Begriff „Männerstaat“ geprägt hat. Nach Helene Lange sind zahlreiche Schulen in Deutschland und sogar Züge der Bundesbahn benannt.