Brüssel (dts Nachrichtenagentur) – Der frühere Vizepräsident der Europäischen Kommission und EU-Kommissar Günter Verheugen hat scharfe Kritik an der EU geübt: „In der Form, wie wir sie heute haben, ist die Europäische Union nicht überlebensfähig“, sagte er der Tageszeitung „Neues Deutschland“ (Samstagsausgabe). Verheugen macht dafür auch die Bundesrepublik verantwortlich: „Was die politischen Hauptströmungen hierzulande nicht sehen wollen, ist, dass Deutschland am derzeitigen Zustand der EU ein gehöriges Maß an Mitverantwortung trägt.“ Seit Jahren versuche die deutsche Politik, die EU an bestimmte finanzpolitische Dogmen der Berliner Finanzpolitik zu ketten, erklärt der engagierte Europapolitiker und verweist auf die deutsche Verantwortung dafür, „dass insbesondere in einigen südlichen Mitgliedsländern Wachstumschancen nicht genutzt werden können und es im Ergebnis erhebliche soziale Verwerfungen gibt“.
EU macht nicht einmal den Versuch, eine eigene Stimme zu erheben
Die deutsche Politik müsse endlich auf die Partner in der Europäischen Union zugehen, gerade auch auf Frankreich, fordert Verheugen. Eine Weltordnung, die wirklich die Lösung globaler Probleme schaffen könne, bekomme man nur zustande, wenn der Kontinent Europa als eine Einheit auftrete. „Aber die EU“, so Verheugen, „bringt das gemeinsame Gewicht, das wir tatsächlich haben, überhaupt nicht auf die Waagschale.“ Die EU mache ja nicht einmal den Versuch, eine eigene Stimme zu erheben – zum Beispiel, wenn US-Präsident Trump ohne UNO-Mandat Krieg führe. „Die EU sagt dann das sei verständlich. Für mich ist das nicht verständlich“, betont der Europapolitiker.
Kommentar
Bei den Wahlen in den Niederlanden und Frankreich ist die Europäische Union mit einem „blauen Auge“ davon gekommen. Doch der Sieg von Macron in Frankreich ist kein Grund zum Jubel und zum entspannten Zurücklehnen.
Mehr als ein Drittel der Franzosen hat mit dem Marine Le Pen und ihrem Front National eine rechtsradikale Wahl getroffen. Viele Stimmen sind nur deshalb bei Macron gelandet, um eben diese schlimmere Alternative zu verhindern.
Wenn sich die EU nicht reformiert, gewinnen Le Pen und Co.
Die Probleme Frankreichs und der Südeuropäer sind riesig. Wenn die EU nicht zu einer gemeinsamen Strategie findet, die die Interessen aller Mitgliedsstaaten im Blick hält, werden die Rechtspopulisten in ein paar Jahren nicht mehr aufzuhalten sein. Und wenn sich nach Großbritannien ein weiteres großes Land aus der Union verabschiedet, ist sie dem Untergang geweiht.
Die EU muss dringend entbürokratisiert werden und muss sich auf ihre Kernaufgaben beschränken. Die schwächeren Länder müssen die Chance bekommen, sich zu entschulden und auf einen Wachtumspfad zurückzukehren.
Sebastian Fiebiger
Redaktion